#DistantLove

Gibt es eine geografische Schmerzgrenze bei der Liebe? 

Wir leben schon lange in einer Welt, in der Grenzen mehr und mehr verschwimmen und Entfernungen immer kürzer werden. Bereits im 17. Jahrhundert wurde mit der Umleitung des Gewürzhandels die Globalisierung eingeleitet. Seitdem erstreckt sich die eigene Welt nicht mehr nur bis zur nahegelegenen Grosststadt, sondern so weit, wie uns das Fortbewegungsmittel unserer Wahl tragen kann. Das Modell „Urlaubsreise“ verwandelt sich zunehmend in längere Auslandsaufenthalte, und Abkommen mit anderen Ländern ermöglichen es uns, frei zu wählen, wo wir wie lange leben möchten.

Wir sind endlich dort angekommen, wovon frühere Seefahrer geträumt haben – in einer globalen Welt. So verwundert es auch nicht, dass Beziehung zunehmend „globalisiert“ werden. So entscheiden sich auch in der Schweiz immer mehr Menschen für einen Partner in der Entfernung. Sei es im In- oder Ausland – die räumliche Flexibilität ist ein Kennzeichen der neuen globalen Gesellschaftsordnung. Doch kann Liebe grenzenlos sein?

„Distant Love“ geht dieser Frage auf der Grund. Wir wollen wissen: Gibt es eine geografische Schmerzgrenze für die Schweizer und in welcher Region spielt Distanz in der Liebe und beim Sex die kleinste Rolle? Wie hat sich der Begriff Fernbeziehung in den letzten Jahren gewandelt? Anhand von Vergleichsdaten der Partnervermittlungsagentur Parship.ch versuchen wir, Rückschlüsse darüber zu ziehen und festzustellen, wie Schweizer mit Liebe und Distanz umgehen.

Der Trend vom “Girl next door” ist rückläufig 

Schon 2011 zeigten die Vergleichsdaten von Parship.ch ein klares Ergebnis: Insgesamt möchten nur 12,4 % der Schweizer einen Partner ausschliesslich in unmittelbarer Nähe (< 10 km) finden. Gut neun Jahre später sind nur noch die Hälfte davon (6,7 %) daran interessiert, ihren Partner quasi vor der Haustür zu treffen. Interessant hierbei sind die Geschlechterunterschiede: Frauen war im Gegensatz zu Männern die Nähe zum Wohnort sowohl 2011 (13,8 % versus 5,4 %) als auch 2019 (8 % versus 5,4 %) wichtiger. Kann man hiervon darauf schliessen, dass Frauen eher auf der Suche nach einer bodenständigen Partnerschaft in nächster Nähe als einem aufregenden Abenteuer in der Entfernung sind?   

Buchautorin, Coach und Fernbeziehungsexpertin Katja von Eysmondt klärt auf. „Frauen sind tendenziell eher Nestbauer, sie wünschen sich Geborgenheit und Nähe in einer Partnerschaft. Die Rolle der Frau durchgeht momentan einen gesellschaftlichen Wandel, das soziologische Paradigma „Hausfrau” verliert mehr und mehr an Substanz – die eigene Verantwortung und Selbstständigkeit innerhalb einer Beziehung definiert sich neu. Das schlägt sich auch in Vergleichszahlen von vor 10 Jahren nieder.”

Die Nordwestschweiz öffnet die Grenzen der Liebe

Ein deutlicher Trend konnte anhand der Daten in der Nordwestschweiz abgelesen werden. Hier wollten 2011 noch 26,7 % der Befragten einen Partner in nächster Umgebung finden. Mittlerweile sind es nur noch 4,8 %. Die Nordwestschweiz ist auch in Bezug auf ihre geografische Beschaffenheit ein Sonderfall – Kantonsgrenzen verlaufen hier kreuz und quer durch die Region.  

Basel ist der wirtschaftliche Ballungsraum: Viele Schweizer pendeln aus Enklaven und Kantonen in die Grossstadt und verbringen vermutlich auch einen grossen Teil ihrer Freizeit dort. Auch gibt es zahlreiche ausländische Vororte wie das französische Saint-Louis, das zwar den Flughafen Basel-Müllhausen beheimatet, sich sonst aber kulturell und sprachlich bereits von der Schweiz deutlich differenziert. Es ist hier nicht auf den ersten Blick klar, wo die Staatsgrenze verläuft beziehungsweise ob es überhaupt eine gibt. Somit ist die Nordwestschweiz zu einem wichtigen bilateralen Partner für die Europäische Union geworden. In diesem Zuge gab es in den letzten Jahren sowohl wirtschaftlich als auch kulturell immer mehr Berührungspunkte mit Frankreich.  

Ein ähnlicher Trend wird auch bei der Partnersuche beobachtet. Nicht nur die Anzahl derer, die einen Partner in unmittelbarer Nähe suchen, ist gesunken, auch bei der internationalen Partnersuche sind die Nordwestschweizer flexibler geworden. Nur 15,7 % wollen laut der aktuellen Umfrage ausschliesslich eine Partnerschaft innerhalb der Schweiz eingehen. 2011 war dieses Kriterium noch für 26,7 % ausschlaggebend. „Ich kann mir gut vorstellen, dass eine kulturelle Vermischung aufgrund der geografischen Lage eine Rolle spielt”, erklärt Katja von Eysmondt. 

„Die Angst vor einer Fernbeziehung beeinhaltet immer die Angst vor etwas Neuem. In Regionen, wo sich Kulturen und Grenzen vermischen, ist man automatisch etwas offener für ,Neues‘, zumal man auch meist am Arbeitsplatz und im Sprachgebrauch bereits mit Dingen konfrontiert wird, die sich über die Komfortzone erstrecken.”  

Die Angst vor einer Fernbeziehung beeinhaltet immer die Angst vor etwas Neuem. In Regionen, wo sich Kulturen und Grenzen vermischen, ist man automatisch etwas offener für Neues, zumal man auch meist am Arbeitsplatz und im Sprachgebrauch bereist mit Dingen konfrontiert wird, die sich über die Komfortzone erstrecken.

– Katja von Eysmondt

Der Grossteil der Schweizer weitet den Radius zur Partnersuche aus 

Die höchsten Zustimmungswerte für beide Vergleichsjahre gibt es bei dem Radius von < 40 km bei der Partnerwahl.  

Doch auch hier wird im Vergleich von 2011 bis 2019 deutlich: Die geografische Schmerzgrenze hat sich deutlich erweitert. Auffallend ist hier die Ostschweiz: Während 2011 noch 47,8 % der Ostschweizer eine maximale Distanz bei der Partnersuche von < 40 km Umkreis angaben, sank dieser Wert im Jahr 2019 auf 21,2 %. Dafür gibt es mehr Zustimmung bei der Partnerwahl innerhalb der gesamten Schweiz: 26,3 % sind nun bereit, für ihren Partner auch an das andere Ende des Landes zu fahren, was ein Plus von 4,6 % im Vergleich zu 2011 darstellt. Auch die Westschweiz wird flexibler. 46,5 % der Befragten war es 2011 noch wichtig, den Radius der Partnerwahl auf < 40 km einzuschränken. 2019 stimmen nur noch 24,1 % der räumlichen Einschränkung zu; auch stieg die Zahl jener, die sich innerhalb der gesamten Schweiz orientieren würden. Während sich 2011 nur 4,7 % vorstellen konnten jemanden aus einem weit entfernten Kanton zu daten, sind es 2019 schon 20,4 %.  

Züricher sind an Liebe in der Distanz gewohnt 

Die Vergleichszahlen aus dem Raum Zürich in Bezug auf die nationale Partnerwahl lassen keine grossen Überraschungen zu. Den Partner vor der Haustür fanden die meisten weder 2011 (5,6 %) noch 2019 (3,1 %). Da die Grossstädter wohl davon ausgehen, dass man für die Partnerschaft prinzipiell etwas länger reisen muss, glaubt der Grossteil sowohl 2011 (33,3 %) als auch 2019 (31,8 %), dass man wohl im Umkreis von < 40 km fündig wird. Auch andere Regionen innerhalb der Schweiz werden in Betracht gezogen, wobei hier ein leichter Abwärtstrend zu vemerken ist (33,3 % in 2011 im Vergleich zu 24,6 % in 2019). Die Ergebnisse spiegeln damit auch das Image von Zürich wider: Als „offen, professionell und verlässlich“ beschreibt das Präsidialdepartment Zürich die Stadt. „Es besteht in Zürich eine hohe Bereitschaft etwas auszuprobieren oder auszulösen, das danach multipliziert werden kann“, so die Verwaltung. Die Bereitschaft, einen Partner in grösserer Entfernung als im benachbarten Ausland zu finden, kann dies ebenfalls bestätigen. Während 2011 noch 5,6 % der Züricher bereit waren, die Liebe im Ausland zu suchen, sind es 2019 schon 9,3 %.

Liebe im benachbarten Ausland gewinnt immer mehr an Beliebtheit 

Doch nicht nur in Zürich überwindet Liebe alle Grenzen. Besonders bei der Frage, ob der Schweizer bereit ist, eine Beziehung im benachbarten Ausland zu beginnen, wird von 2011 bis 2019 ein deutlicher Aufwärtstrend sichtbar. Auch hier zeigt die Nordwestschweiz besonders viel Offenheit für die internationale Liebe. 12,0 % können sich eine Partnerschaft im benachbarten Ausland vorstellen, das sind fast doppelt so viele wie im Jahr 2011 (6,7 %). Auch die Anzahl der Zentralschweizer, die nun bereit für eine grenzüberschreitende Liebe sind, hat sich verdoppelt. Während sich 2011 noch zögerliche 4,3 % eine Romanze im Ausland vorstellen konnten, sind es nun 9,1 %. Die Mittelländer haben sich wohl schon immer sehr offenherzig, auch im benachbarten Ausland, nach Liebe umgesehen. Sowohl 2011 (11,5 %) als auch 2019 (12,0 %) besteht ein grundsätzliches Interesse nach einer internationalen Partnerschaft. Lediglich bei den Ostschweizern und Bernern hat die Neugierde nach einer richtigen Fernbeziehung im Ausland nachgelassen. 2011 konnten sich noch 7,1 % der Berner eine Liebschaft im Ausland vorstellen, 2019 nur noch 6,3 %.

Die Ostschweiz hat eine geografische Schmerzgrenze entwickelt

Besonders auffällig und gleichzeitig rückläufig sind die Ergebnisse der Ostschweiz. Während 2011 noch ganze 23,6 % der Ostschweizer an einer Auslandsbeziehung interessiert waren, sind es 2019 nur noch 11,8 %, also weniger als die Hälfte. Zumindest Graubünden liebäugelt in internationalen Gewässern. 2011 wollte noch keiner der Befragten eine Fernbeziehung führen – 2019 sind es immerhin 12,5 %.

Männer sind eher bereit, einen Partner in der Ferne zu finden  

Betrachtet man die Daten im Bezug auf geschlechtsspezifische Unterschiede, wird klar: Männer sind eher bereit, sich auf eine Beziehung mit einem Partner im benachbarten Ausland einzulassen. Zwar sind die prozentuellen Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht sehr gross, jedoch manifestiert sich in Hinblick auf beide Vergleichsjahre ein gewisser Trend. 2011 waren 9,8 % der männlichen Befragten (im Vergleich zu 7,8 % der weiblichen Befragten) bereit für eine Liebe im Ausland. In 2019 sind es 10,4 % der Männer im Vergleich zu 9,4 % der Frauen, die sich in einer Fernbeziehung im Ausland sehen. Obwohl der Anteil der Frauen also gestiegen ist, haben die Männer hier trotzdem noch die Nase vorne. Warum?

Männer haben erfahrungsgemäss einen höheren Drannach Freiheit als Frauen. Frauen sind wiederum weniger bereit, dies als Vorteil zu artikulieren, denn Freiheit wird hier in direktem Zusammenhang mit Kontrolle gesehen und Kontrolle erzeugt Angst. Wir üben Kontrolle aus, weil wir Angst haben, dass uns eine Sache sonst entgleitet; dass wir die Sicherheit, etwas für uns zu beanspruchen, verlieren. Das ist aber ein TrugschlussAngst spielt sich nur in unseren Köpfen ab – und kreiert dabei gleichzeitig genau das, wovor wir Angst haben.  Unsere Gedanken werden hier zu Worten und unsere Worte zu Handlungen. Dabei geht es doch in einer Fernbeziehung darum, genau von diesen Ängsten loszulassen. Das ist für Frauen normalerweise schwieriger als für Männer. Trotzdem sollte hier klar sein: Wenn er gehen will, geht er sowieso. So gesehen hat man in einer Fernbeziehung genauso viele Sicherheiten als in einer Nahbeziehung. Angst blockiert hier also nur.

– Katja von Eysmondt

Liebe in der Distanz – Moderne Begleiterscheinung oder Chance für eine intensivere Beziehung? 

In ihrem Buch gibt Katja von Eysmondt Tipps, um eine erfolgreiche Fernbeziehung zu führen. Tatsächlich nimmt die “Liebe in der Distanz” immer mehr zu – immer mehr Paare überwinden geographische Grenzen füreinander. Doch was ist die Ideallösung für eine funktionierende Beziehung? Entwickeln wir uns zueinander oder voneinander weg, sobald sich der Radius vergrössert.  “Ich sehe eine Fernbeziehung als echte Chance an, eine Beziehung zu intensivieren.”, erklärt Katja von Eysmondt. “Wie eben erwähnt, unterliegt eine Fernbeziehung zwei Dingen, die in einer Nahbeziehung oft verloren gehen und letztendlich auch treibende Faktoren für eine Trennung sind: Freiheit und Vertrauen. In vielen Nahbeziehungen geben sich Partner, nicht nur aufgrund von Kontrollängsten, sonder auch aufgrund von ständiger Nähe, nicht genug Freiheiten. Man kann in einer Beziehung nicht mehr als Individuum bestehen, man identifiziert sich zur Gänze mit dem Partner. So muss man auch erst gar kein Vertrauen aufbauen, da man sowieso als eine Person agiert. Dies wird oft zum Stolperstein in Langzeitbeziehungen. Denn falls Sitaution auftauchen, die ein gewisses Mass an Vertrauen voraussetzen, scheitert man an seinen eigenen Ängsten. Folgende Dinge sollte man bei einer Fernbeziehung nicht ausser Acht lassen. 

  • Eine Fernbeziehung bedeutet, einen Schritt ins Ungewisse zu wagen, sich auf etwas Unbekanntes einzulassen und seine Ängst zu überwinden.
  • Eine Fernbeziehung bietet viel Raum für sich selbst – man kommt also auch in seiner persönlichen Weiterentwicklung zügig voran, ohne eine Partnerschaft ,mitzutragen‘.
  • Die Erwartungshaltungen ändern sich. Die Vorfreude auf den Partner lässt einem immer wieder aufs Neue die schönen Seite der Beziehungen entdecken – das Gefühl des ‚ersten Zusammentreffens‘ geht somit nie verloren.

Räumliche Distanz kann natürlich auch zur Herausforderung werden. In meinem Buch zitiere ich hier den Fernbeziehungsexperten Dr. Peter Wendl: „Desto länger die Fernbeziehung dauert, desto länger dauert es, bis man wieder vollständig zueinander findet.“ Tatsächlich entwickelt jeder seine eigenen Rituale beziehungsweise seine eigenen Persönlichkeitsattiribute während einer räumlichen Trennung. Diese ,Puzzle-Teile‘ müssen natürlich wieder zusammengefügt werden, sobald es zu einer Nahbeziehung kommt. Doch auch hier profitiert man von der Chance des Neuen – man bringt immer wieder neue Aspekte in die Beziehung. Daran kann man zerbrechen, aber gleichzeitig auch unglaublich wachsen. Somit sehe ich das Modell ,Fernbeziehung‘ als Chancenmodell der Zukunft an. Letztendlich muss eine Basis geschaffen werden, von der beide Seiten gleichermassen profitieren können.”

Katja von Eysmondt ist Buchautorin, Coach und Expertin für Fernbeziehungen. In ihrem Buch „Du, Schatz …Erfolgreich eine Fernbeziehung führen“ geht sie auf die Herausforderungen von einer räumlichen Trennung in einer Partnerschaft ein und gibt Tipps für eine erfolgreiche Bewältigung.

Unser Expertin: Katja von Eysmondt

 Entfernung trennt zwei Menschen, aber niemals zwei Herzen!

– Ein Liebender –